Florian Möllers und sein "Wildes Berlin"

Georg Popp
Wir von Wiener Wildnis sind natürlich nicht die Einzigen, die sich mit urbaner Wildnis beschäftigen...

Dazu ist das Thema zu spannend und zu vielseitig. Und Wien ist zwar eine der grünsten Metropolen, mit über 50% Grünflächenanteil, Nationalparks und Auen im Stadtgebiet. Aber natürlich gibt es auch in anderen Städten zahlreiche Naturwunder zu entdecken, die sowohl Fotografen als auch Filmemacher anziehen.

Und so haben wir die Wiener Stadtgrenzen verlassen, um für Sie über diese Projekte und auch über die Personen dahinter zu berichten. Wir beginnen unsere Reihe mit:

Florian Möllers und sein „Wildes Berlin“

Florian Möllers ist ein renommierter Naturfotograf und Autor, Communications-Director und Mit-Initiator beim weltweit größten und erfolgreichen Naturfotoprojekt „Wild Wonders of Europe“ (bei dem – nebenbei bemerkt - auch die „Wiener Wildnis“ Initiatoren einen Beitrag leisteten). Er ist Autor bzw. Fotograf des Buches „Wilde Tiere in der Stadt“  - ein Bildband, der sich mit der Natur Berlins auseinander setzt. Im Zuge des „Horizonte“ Fotofestivals in Zingst (Deutschland) im Jahre 2010, saßen wir des Öfteren mit Florian beim Frühstück und plauderten über seine Erfahrungen in jener Zeit in der deutschen Bundeshauptstadt  - der vielleicht wildesten Metropole Europas. Dabei keimte erstmals die Idee auf, so etwas in Wien auch zu versuchen.  Fast drei Jahre später ist „Wiener Wildnis“ Realität geworden und das Thema Stadtwildnis ist aktueller denn je.

Für uns eine gute Gelegenheit, Florians „Wildes Berlin“ an den Anfang unserer Serie zu stellen.

Warum Berlin sich so ausgezeichnet für ein Stadt-Natur Projekt eignet, beschreibt Florian auf seiner Projektseite www.wildesberlin.de

„Berlin: sexy, pulsierend, vielfältig, hektisch, schroff, Partymetropole, Kulturgeber, Medienzentrum, Arbeitsstätte und Erholungsraum für fast 3,5 Millionen Menschen. Doch erst hinter der schillernden Kulisse der Hauptstadt tobt das wahre Leben, denn Berlin ist auch in Sachen Natur tierisch angesagt! In Wäldern, Gewässern, Parks und Grünanlagen tummeln sich Tiere und Pflanzen aus über 7.000 Arten!  Darunter die ehemaligen Flaggschiffe deutscher Artenschutzbemühungen: Seeadler, Kranich, Biber und Fischotter. Mehr als 5.000 Wildschweine leben zwischen Havel und Müggelsee. Dazu kommen knapp 2.000 Füchse und etliche Exoten und Neubürger aus Flora und Fauna. Das ist einmalig in der Welt! Kaum jemand weiß das, kaum jemand nimmt die grüne Vielfalt wahr. Berlin ist auch Wiege der Stadtökologie, einer Bio-Wissenschaft, die immer bedeutender wird. Denn mehr und mehr Pflanzen und Tiere erobern die Stadt als neuen Lebensraum.“

Florian Möllers Buch „Wilde Tiere in der Stadt“  (siehe Buchtipp am Ende des Beitrages) ist nicht nur eine Sammlung toller Fotos, sondern auch spannende und lehrreiche Lektüre. Hier hat sich jemand sehr tief und ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt. Wer also an Zahlen, Fakten und Hintergrundgeschichten über die Berliner Stadtnatur interessiert ist, liest am besten dieses Buch.

Wir haben Florian anhand von zehn Fragen gebeten, uns zu diesem Thema etwas aus seiner persönlichen Sicht zu erzählen:

Wiener Wildnis (WW): Wie bist Du auf die Idee „Wildes Berlin“ gekommen?/ Wie ist das Projekt entstanden?

Florian Möllers (FM): „Der Auslöser war das Bild eines VOPO (Polizist in der DDR), der auf einem Stromkasten am Straßenrand hockte. Als wäre das nicht amüsant genug, stand vor seinem Dienstwagen eine stattliche Wildschweinbache. Das Ganze sollte sich laut Bildunterschrift in Berlin zugetragen haben – vor der Wende versteht sich. Ich begann zu recherchieren und wurde nur allzu schnell fündig: Berlin war in Wahrheit auch nach der Wiedervereinigung fest in der Hand der Wildschweine! Einige Besuche, etliche hundert Bilder und mehrere Wochen später war mir klar, Berlin ist ein absoluter Hotspot für Wildtiere. 20.000 Tier- und Pflanzenarten – das ist doch mal ne Ansage für eine Großstadt, und in Europa kaum zu toppen. Nach Abschluss meiner Reportage über Wildschweine startete ich also direkt das nächste Projekt: BIOPOLIS, oder Wildes Berlin.“

WW: Was waren für Dich die größten Herausforderungen aus fotografischer Sicht?

FM: „Die Herausforderungen lagen eher auf zwischenmenschlicher Ebene: der Mangel an Respekt vor einem Mitlebewesen bei vielen Städtern hat mich ziemlich erschreckt. Egal, wie sich diese überhebliche Haltung äußert, die Leidtragenden sind die Wildtiere. Denn wird es einmal unbequem, kommt gar jemand zu Schaden (was selten genug geschieht) oder werden – im Falle der Wildschweine – die Tulpenzwiebeln auf links gedreht, werden nur allzu schnell die Rufe laut nach Abschuss oder militärischem Durchgreifen. Ungeachtet der Tatsache, dass der Mensch der Verursacher des vermeintlichen Übels ist.“

WW: Über welche Aufnahmen hast Du Dich besonders gefreut, was sind Deine persönlichen Favoriten aus dem „Wilden Berlin“?

FM: „Ziel meiner Arbeit war es, das Spannungsfeld im Miteinander von Mensch und Natur in der Stadt aufzuzeigen und wie sich Tiere mit dem Lebensraum Stadt arrangieren: wie begegnet man sich, wo entstehen Konflikte und wie sehen sie aus, was macht die Stadt so attraktiv für Wildtiere und welche Rolle spielt der Mensch dabei? Deshalb gefällt mir der Fuchs an der Bushaltestelle oder der zwischen den Gartenzwergen, die Wildschweinbürgersteigszene, der einbrechende Waschbär oder die Ente im Blumenkasten. Hier stellt uns die Natur auf die Probe, hält uns oft genug den Spiegel vor und macht deutlich: die Stadt ist weit mehr als der viel zitierte „Ersatzlebensraum“ für Wildtiere aller Art.“

WW: Natur und Großstadt sind für viele Menschen absolute Gegensätze aber Fotoprojekte wie „Wildes Berlin“ beweisen das Gegenteil. Was steckt dahinter?

FM: „Vor noch nicht allzu langer Zeit waren Städte Rückzugsgebiete des Menschen vor der wilden Natur vor ihren Toren. Seit das, was wir gemeinhin „Natur“ nennen, auf ein Minimum heruntergewirtschaftet wurde oder vielerorts dank intensiver Landwirtschaft großflächig verarmt ist, sind Städte neben Auwäldern die artenreichsten Lebensräume Mitteleuropas. Nach wie vor suchen die Menschen in ihnen Schutz vor dem „Wilden“. Doch die Zeit und unsere Zerstörungen haben uns längst eingeholt. Nach wie vor wünschen sich Stadtbewohner zum allergrößten Teil eine möglichst „grüne“ Wohnumgebung. Wir wissen instinktiv, dass uns das gut tut. Aber bitte in Maßen! Das ist die eine Seite.

Auf der anderen bieten Städte einen um ein Vielfaches höheren Strukturreichtum als die Kulturlandschaft vor den Toren. Das heißt: mehr Lebensräume für verschiedene Wildtiere. Städte sind darüber hinaus wahre Futteroasen: Berliner Füchse fressen zu mehr als 30% menschliche Nahrungsabfälle. Und zu guter Letzt herrscht in den meisten Städten Jagdruhe. Grund genug, dass Wildtiere wieder tagaktiv werden und sich erstaunlich vertraut neben ihren menschlichen Mitbewohnern bewegen. Städte decken damit die Bedürfnisse sehr vieler, auch größerer Wildtierarten.“

WW: Du bist einer der Initiatoren des größten Foto-Projektes der Welt -  „Wild Wonders of Europe“ – gibt es zwischen „Wildes Berlin“ und „Wild Wonders“ gewisse Parallelen?

FM: „Wild Wonders of Europe ist unter anderem angetreten, die Menschen Europas und der Welt davon zu überzeugen, dass spannende Naturerlebnisse direkt vor der eigenen Haustür möglich sind, und dass es sich lohnt auch im dichtbesiedelten Europa auf Entdeckertour zu gehen. Das gilt in ganz besonderem Maße für unsere Städte, gerade hier in Europa! Deshalb haben wir auch einige Wild Wonders Fotografen in städtische Lebensräume geschickt, nach London und Barcelona zum Beispiel. Die Bilder, die dort entstanden sind, gehören zu den überraschendsten und stärksten, die im Rahmen von Wild Wonders entstanden sind.“

WW: Im Zuge der „Wild Wonders of Europe“ Open Air Ausstellung in Berlin, die über 800.000 (!) Menschen gesehen haben, waren auch einige Deiner Berlin-Motive zu sehen – wie war das Feedback/die Reaktionen?

FM: „Die reichten von schierer Überraschung bei vielen Nichtberlinern (darunter viele Menschen, die in ländlichen (natürlichen) Gegenden wohnen), bis zu schmunzelndem Wiedererkennen von Situationen, die man selbst so oder ähnlich erlebt hat. Auch wenn es ihnen das Eingeständnis manchmal schwer fällt, viele Berliner sind geradezu stolz auf ihre wilde Hauptstadt!“

WW: Stichwort moderne, gut organisierte, lebenswerte Metropole von heute (bzw. von morgen): Was für eine Rolle spielt die Natur, die Grünräume der Naturschutz? Ist hier ein Trend zu erkennen?

FM: „In weniger als 20 Jahren werden 2/3 der Weltbevölkerung in Städten leben – und zumeist nur dort mit Natur in Berührung kommen – in Parks, Grünanlagen, Zoos, Gärten.Es ist höchste Zeit, dass wir verstehen, wertschätzen und den jüngeren Generationen aktiv vermitteln, dass Städte durch die enorme Vertrautheit vieler Tiere meist ein intimeres und unmittelbares Naturerleben ermöglichen als die „freie Wildbahn“. Der Nachweis ist längst erbracht, dass derart positive emotionale Erfahrungen gerade für Kinder enorm nachhaltig sind, soziale Kompetenz fördern und mehr Reize bieten als der beste Biologieunterricht.Gleichzeitig wächst natürlich der Anspruch an die Stadtplaner, das Leben in der Stadt auch grün zu gestalten. Das wird vielerorts umgesetzt, wenn auch der oftmals sehr begrenzte Platz viel weniger Raum bietet als nötig wäre.

Seit etwa 10 Jahren, in Berlin schon wesentlich länger, nehmen Bürger wie auch Behörden und wissenschaftliche Institute Stadtnatur heute anders wahr. Die multimediale Darstellung des Phänomens hat dazu erheblich beigetragen.“

WW: Dein „Wildes Berlin“ wird – so wir richtig informiert sind – gerade als TV Doku umgesetzt. Stimmt das? Wie, Wann und Wo gibt es darüber etwas zu sehen?

FM: „Ganz genau, von zwei begnadeten Filmemachern, Rosie Koch und Roland Gockel. Die Beiden haben geradezu unglaubliches Material zusammengetragen und Dinge erlebt, die mich vor Neid wohlwollend blass werden lassen. Der Film wird im Sommer in Deutschland anlaufen, und ich bin sicher, er wird für Furore sorgen!“

WW: Ist „Wildes Berlin“ für Dich abgeschlossen? Was sind Deine aktuellen Projekte?

FM: „Ja, ich habe der Stadt den Rücken zugekehrt, lebe wieder auf dem Land und – so paradox das klingt - vermisse Berlins grandiose Natur sehr.

Wild Wonders of Europe hält mich nach wie vor in Atem, wir bereiten neue Outdoor-Ausstellungen und Multimedia-Produkte vor. Darüber hinaus werde ich mich intensiver und auf multimediale Art und Weise mit meiner anderen großen Leidenschaft beschäftigen, dem Fliegenfischen.“

WW: Warst Du schon einmal in Wien und könntest Du Dir vorstellen auch einmal die Wiener Wildnis zu besuchen?

FM: „1995 hatte ich im Rahmen einer Präsentation beim „Internationalen Ornithologen Kongress“ ein paar Stunden, um gemütlich durch Wien zu spazieren. Deshalb würde ich mich riesig freuen, bald auch einmal die wilde Seite der Stadt kennen zu lernen!“

WW: Danke für das Interview!


Florian Möllers (geb. 1971)Seine oft mehrjährigen Foto- und Textreportagen erscheinen in Magazinen weltweit und illustrieren stets ein breites Spektrum von Berührungspunkten in dem häufig zwiespältigen Verhältnis von Mensch und Natur. Egal, ob sich der Konflikt um Wildtiere in Großstädten, um Kormorane, Schimpansen, Fischerei, Nerze oder Wildschweine dreht. Er ist berufenes Mitglied der International League of Conservation Photographers (ILCP) und Communications Director der weltweit erfolgreichen Multimedia-Initiative Wild Wonders of Europe . Seit 2012 ist er Botschafter der UN-Dekade Biologische Vielfalt.
Die Fotos dieses Beitrags stammen allesamt aus dem Buch "Wilde Tiere in der Stadt" (siehe unten) und sind (c) by Florian Möllers

Buchtipp:

Florian Möllers
„Wilde Tiere in der Stadt“, Knesebeck Verlag, € 29,90



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